Halle, den 23. März 2020
Seit kurzem können Ausländer*innen in Haft genommen werden, wenn die Behörden und Gerichte davon ausgehen, dass sie sich ihrer Abschiebung zu entziehen planen. Voraussetzung ist, dass sie aber weiterhin nicht wie Strafhäftlinge behandelt werden. Schließlich liegt hier keine Straftat oder ein Schuldspruch vor. Das heißt, dass die Menschenrechte dieser Personen gerade in den Punkten Beschränkung auf kleine Zelle, Behandlung durch das Justizpersonal und Möglichkeit der Kommunikation nach außen nicht oder zumindest nicht in dem gleichen Umfang eingeschränkt werden dürfen. Dies kann in der Praxis nur sichergestellt werden, wenn Abschiebehäftlinge und Strafhäftlinge in verschiedenen Einrichtungen untergebracht werden. Aus dem Europarecht geht genau diese Vorgabe der räumlichen Trennung hervor. [1]
Durch die Aktivierung einer Notstands-Klausel durch die Bundesregierung unter Federführung des Bundesinnenministers Seehofer (CSU) hat der Gesetzgeber in § 62 I Aufenthaltsgesetz neu geregelt, dass die Bundesländer bis zum 30.6.2022 dieses Trennungsgebot nicht mehr beachten müssen. [2] Durch einen Beschluss [3] der Landesregierung Sachsen-Anhalts (CDU, SPD, Grüne) unter Führung des zuständigen Landesinnenministers Stahlknecht (CDU) werden seit dem 15.01.2020 Abschiebehäftlinge in regulären Gefängnissen mit untergebracht. [4]
Dabei hat der Europäische Gerichtshof bereits 2014 in einem Urteil festgestellt, dass Abschiebehäftlinge grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen seien. [5] Auch nach Ansicht von Amnesty International verstößt eine solche Zusammenlegung gegen das geltende europäische Recht. [6]
Nun beteuert die Landesregierung, dass die Abschiebehäftlinge weiterhin räumlich abgetrennt und damit die Rechte der Betroffenen nicht verletzt werden. Dabei wird jedoch die eigentliche Bedeutung des sogenannten Abstandsgebotes außer Acht gelassen: Abschiebungshäftlinge sollen nicht denselben Einschränkungen unterliegen wie Straf- oder Untersuchungsgefangene. Bei dem Vollzug von Abschiebungshaft in einer Justizvollzugsanstalt werden jedoch die Betroffenen genau denselben (Straf-) Vollzugsregelungen unterworfen, wie sie auch für die übrigen Gefangenen gelten. Dies führt zu unverhältnismäßigen Beschränkungen ihrer Rechte.
Dabei haben sowohl der Bund als auch Sachsen-Anhalt die Situation selbst verschuldet und seit Jahren vor allem nicht die Entwicklung wirksamer Alternativen zur Abschiebungshaft vorangetrieben. Die Folge des jahrelangen Abwartens spüren nun die Betroffenen, deren Rechte durch die Aktivierung der Notstandsklausel eingeschränkt werden.
Zudem ist Sachsen-Anhalt derzeit das einzige Bundesland, das von der Notstands-Klausel Gebrauch gemacht hat. Die meisten anderen Länder halten ein solches Handeln für einen Verstoß gegen geltendes Europarecht. [7] Zumindest ist es ihnen allen gelungen, unter Achtung der Rechte der Betroffenen verhältnismäßigere Möglichkeiten zu finden.
Wir von Amnesty International Halle fordern deshalb die Landesregierung auf:
- Keine Abschiebehäftlinge im Strafvollzug unterzubringen
- Alternativen zur Abschiebungshaft zu entwickeln und vorrangig anwenden zu lassen.
[1] s. Art. 16 I der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG.
[2] s. BT Drucksache 19/10047 vom 10.05.2019: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/100/1910047.pdf , S. 44 f.
[3] s. dazu die Pressemitteilung vom 15.01.2020: http://www.presse.sachsen-anhalt.de/index.php?cmd=get&id=90800 8&identifier=7e73b57a740aecbeb977974e89aeef22
[4] s. Antwort der Landesregierung auf kleine Anfrage vom 19.02.2020: https://padoka.landtag.sachsen-anhalt.de/files/drs/wp7/drs/d5705gak.pdf , S.2
[5] Urteil des EuGH in den verbundenen Rechtssachen C 473/14, C 514/13 und C 474/13 vom 17. Juli 2014.
[6] Interview von Franziska Vilmar, Referentin für Flüchtlingspolitik bei Amnesty International, in der Frankfurter Rundschau vom 07.06. 2019: https://www.fr.de/politik/asylpolitik jetzt kommt hau ab gesetz 12356872.html
[7] s. dem Artikel im Tagesspiegel vom 13.07.2019: https://www.tagesspiegel.de/politik/seehofers-gesetz-wirkt-nichtbundeslaender-wollen-keine-abschiebung-aus-normaler-haft/24589604.html